Reha-Verein macht Politik verstehbar und erlebbar

28.08.2024
Bürgermeisterin Josephine Gauselmann bei ihrem Grußwort

Im 100 Plätze fassenden Senatssaal der Hochschule Niederrhein war kein Platz frei geblieben. „Offensichtlich haben wir mit der heutigen Veranstaltung ein Thema aufgegriffen, dass die Menschen bewegt“, begrüßte Dieter Schax, Vorstand des Reha-Vereins, das bunt gemischte Publikum. Eingeladen hatte der Träger von Angeboten für Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe „Politik verstehbar“, und zwar sowohl Nutzer*innen gemeindepsychiatrischer Angebote als auch Mitarbeitende unterschiedlicher sozialer Institutionen in Mönchengladbach sowie weitere Interessierte. Anlass war der Rechtsruck, der seit einiger Zeit immer spürbarer wird und Träger der Institutionen für Menschen mit Behinderungen große Sorge bereitet. „Wir wollen heute sensibilisieren und klarmachen: Auch psychisch kranke Menschen sind betroffen“, so Schax. Gleichzeitig sollten mit im Stadtrat vertretenen Politikern Ideen entwickelt werden, was jeder Einzelne und die Stadtgesellschaft gegen diese Entwicklungen tun können. Der Einladung waren Janann Safi (Fraktionsvorsitzender SPD), Marcel Klotz (Ratsherr Bündnis 90/Die Grünen), Peter König (Kreisvorsitzender FDP), Martin Heinen (stellvertretender Fraktionsvorsitzender CDU) und Torben Schultz (Fraktionsvorsitzender DIE LINKE) gefolgt.

Die Politiker mussten sich jedoch gedulden, bevor sie für Statements und Diskussion das Podium betreten durften. Zunächst sprach die erste Bürgermeisterin Josephine Gauselmann ein sehr bewegendes Grußwort, in dem sie für Toleranz, Respekt und Vielfalt warb und auf die zunehmende Gewaltbereitschaft und auch konkrete Gewaltakte gegen engagierte Politiker*innen hinwies.

Die faktische Grundlage zur später folgenden Diskussion legte hiernach Prof. Dr. Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein. Sie stellte Ergebnisse der aktuellsten „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung vor, welche unter dem Titel „Die distanzierte Mitte“ rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in unserer Gesellschaft untersucht. Die repräsentativen Ergebnisse bieten Anlass zur Sorge: Rechtsextreme Einstellungen sind stark angestiegen und weiter in die Mitte gerückt. Mit 8 % ist der Anteil von Befragten mit klar rechtsextremer Orientierung gegenüber den Vorjahren erheblich angestiegen. Das Vertrauen in die Institutionen und in das Funktionieren der Demokratie sinkt auf unter 60 %. Ein erheblicher Teil der Befragten vertritt verschwörungsgläubige (38 %), populistische (33 %) und völkisch-autoritär-rebellische (29 %) Positionen. Menschenfeindliche Einstellungen bleiben weiter auf hohem Niveau. Das macht betroffen und belastet. Dennoch oder besonders deshalb sei es wichtig, dem Thema mit Mut und Kraft zu begegnen, so Küppers. Eine klare Abgrenzung gegenüber denjenigen, die ein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben sei ebenso wichtig wie diejenigen abzuholen, die sich „im Graubereich“ befänden, also hinsichtlich ihrer Einstellungen schwanken. Und denjenigen, die sich für ein demokratisches Miteinander und ein Leben in Vielfalt einsetzen, müsse mehr Wertschätzung entgegengebracht werden. Zudem machte sie auf Zusammenhänge von Einstellungen und Lebensumständen aufmerksam: Mangelnde Bildung und Armut können menschenfeindliche Einstellungen begünstigen, woraus sich ein Auftrag an Politik ergäbe: Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit sowie inklusive Bildungsangebote seien wichtige Ansatzpunkte für ein besseres Miteinander und die Stärkung der Demokratie.

Die fünf Politiker – eine Frau war bei der Podiumsdiskussion leider nicht vertreten – hatten nun jeweils ca. zehn Minuten Zeit für Einzelstatements und beantworteten nach der Mittagspause unter Moderation von Dieter Schax zuvor gesammelte Fragen von Menschen mit einer psychischen Erkrankung bzw. Behinderung. Dabei bestand in vielen Punkten Einigkeit bei den politischen Akteuren: Sich klar gegen Rechts positionieren, am besten im gemeinsamen Schulterschluss, sei notwendig. Die Wahlbeteiligung müsse gesteigert werden und dafür müssten Menschen für die Demokratie begeistert werden. Dies gelte ganz besonders für junge Menschen, die laut Mitte-Studie vergleichsweise höhere Werte rechtsextremer und demokratiegefährdender Einstellungen aufweisen. Gleichzeitig werde die Demokratie nicht nur durch Politiker*innen verteidigt, sondern durch uns alle. Unterschiedlichkeit in den Parteien und den politischen Statements sei wichtig und Kompromisse zu machen, sei Teil der Demokratie. Im Grunde müsse Politik vorleben, was wir uns auch im wahren Leben wünschen, nämlich Fairness. In der Sache könne diskutiert werden, aber die Person sei dabei stets wertzuschätzen. Als wichtige Herausforderung wurde die zunehmende Bedeutung von Social-Media-Kanälen für die politische Meinungsbildung identifiziert.

Wenn die Podiumsdiskussion ein Abbild der politischen Diskussion in Mönchengladbach war, dann funktioniert das in unserer Stadt sehr gut. Die Politiker waren in ihren Aussagen klar, deutlich und durchaus auch kontrovers. Aber es wurde auch viel gelacht und der gemeinsame Kampfgeist für die Demokratie wurde spürbar. „„Es war parteiübergreifend Raum für unterschiedliche Perspektiven – das macht Hoffnung!“, fasste es Dieter Schax am Ende zusammen.

Fazit: „Politik verstehbar“ – ein von Nutzer*innen des Reha-Vereins konzipiertes Format – mit Politiker*innen in der Hochschule Niederrhein war eine informative, diskursive und Mut machende Veranstaltung, die unbedingt fortgeführt werden sollte. Denn eines wurde auch ganz klar: Politik muss verstehbar und erlebbar gemacht werden. Und dafür braucht es mehr Kontakt und Austausch zwischen Bürger*innen und Politiker*innen.

Text: Tanja Kulig-Braß,  Fotos: Denise Brenneis, beide Reha-Verein