Familie im Fokus

Eindrücke von der Tagung der BAG KipE
Am 4. April gab es ein besonderes Event in Mönchengladbach: die Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder psychisch erkrankter Eltern (BAG KipE) fand im Haus Erholung in Mönchengladbach statt.
Mittlerweile blickt die BAG KipE auf eine 20jährige Geschichte zurück. Hatte sie ursprünglich als informeller Arbeitskreis sozialer und psychiatrischer Fachkräfte begonnen, so konnte sie bereits 2008 dank einer projektbezogenen Förderung professionalisiert werden.
In seiner Begrüßungsrede wies OB Felix Heinrichs darauf hin, wie wichtig Netzwerkarbeit in Bezug auf Kinder psychisch kranker Eltern ist, die sich gleich drei Herausforderungen stellt: Kindern, Eltern und in Verbindung damit psychischen Erkrankungen. Ob und wie man sich diesen Themen stellt, ist eine entscheidende Weichenstellung für Bildung, sozialen Status, Einkommen und Gesundheit der Betroffenen, eigentlich für ihre ganze zukünftige Entwicklung.
Im Impulsvortrag von Professor Michael Borg-Laufs von der Hochschule Niederrhein gab es dann konkrete Zahlen: Aktuell geht man von ca. 3 Mio. betroffenen Kindern aus, von denen bis zu 50% im späteren Leben selbst eine psychische Erkrankung entwickeln. Bei bis zu 20% liegt eine Kindeswohlgefährdung vor. Die Problemlagen dabei sind komplex: häufig liegen vielfältige psychosoziale und sozioökonomische Belastungen vor. Ganz vorne dabei sind Armut, Arbeitslosigkeit der Eltern und beengte Wohnverhältnisse. Hinzu kommt, dass es sich oft nicht nur um eine einzige Erkrankung handelt: „Komorbidität ist hier der Regelfall“. Das bedeutet auch, dass der Familienalltag durch Klinikaufenthalte, Suchtverhalten u.a. unterbrochen wird, was die Beziehungen in der Familie umso fragiler macht. Viele Eltern praktizieren aufgrund ihrer Erkrankung auch einen unvorhersehbaren Erziehungsstil, der zu einer weitreichenden Verunsicherung und hohem Kränkungspotential für die Kinder führt. Andere erleben früh eine Rollenumkehr: sie übernehmen familiäre Verantwortung und sorgen für ihre Eltern und Geschwister. Den meisten gemeinsam ist eine weitreichende soziale Isolierung, die Probleme innerhalb der Familie werden „versteckt“, häufig auch innerhalb der „Mehrheitsgesellschaft“ stigmatisiert.
Mit all dem werden psychische Grundbedürfnisse der Kinder verletzt. Zu diesen gehören nach Prof. Borg-Laufs: Bindung, Selbstwert, Orientierung/Kontrolle und Lustgewinn. Diese sind nicht optional, sondern entscheidend für ein gelingendes Leben. Was es dabei immer zu beachten gilt: Nicht alle sind von allem (und gleich stark) betroffen. Die Gruppe psychisch erkrankter Eltern ist sehr heterogen, was eine sorgfältige individuelle Diagnostik erforderlich macht. Das Gleiche gilt für Hilfen, die immer individuell zugeschnitten sein sollten. Auch gilt: Viele Kinder werden eben nicht krank, sie verfügen über Ressourcen, mit denen sie die schwierigen Lebenslagen meistern (die „anderen 50%“) und die ihre weitere Entwicklung unterstützen.
Eine entscheidende Frage im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen ist lt. Borg-Laufs, ob es die Hilfesysteme schaffen, Motivation für Veränderung zu wecken. Ein Ausgangspunkt ist dabei eine Reflektion über die eigene Erkrankung und das damit verbundene Änderungspotential, entscheidend ist es aber auch, die Bedürfnisse aller Beteiligten zu respektieren und eine Balance zwischen ihnen herzustellen. Das heißt auch: die Kinder Kind sein zu lassen.
Das betonte auch Anja Thürnau in ihrem folgenden Vortrag, der sich in vielem mit den Aussagen von Prof. Borg-Laufs deckte. Wichtig für eine gelingende Kooperation sei es, immer vor Augen zu haben: „Kinder sind Kinder und Eltern sind Eltern“. Dies und die unterschiedlichen Bedürfnisse gelte es zu berücksichtigen, dabei auch „auf Augenhöhe“ mit den Kindern zu sprechen und ihnen wirklich zuzuhören.
Alle Beteiligten waren sich einig, wie wichtig eine stärkere Verzahnung der unterschiedlichen Hilfen innerhalb der verschiedenen Sozialsysteme und eine rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit sei. Dringend geboten sei auch der Anschluss an die Regelfinanzierung, der bis heute fehlt, wie die Sprecherin der BAG, Prof. Dr. Sabine Wagenblass betonte.
Die Veranstaltung wurde begleitet von verschiedenen Workshops zur Thematik sowie von zwischenzeitlichen Reflektionsrunden durch ein trialogisch zusammengesetztes Trio.
Alle Teilnehmenden waren sich einig: es war eine gelungene und bereichernde Veranstaltung.
Ein besonderer Dank gilt dabei Fenja Offermanns, der KipE-Koordinatorin des Reha-Vereins, die die Veranstaltung souverän organisierte und begleitete.
Alle Fotos: Reha-Verein